Predigt am Heiligen Abend, 24. Dezember 2003, 17.30 Uhr

Gnade sei mit euch von dem der da ist, der  da war und der da kommt, Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist!

Predigt über Philipperbrief des Apostel Paulus, Kapitel 2, 6-8

Er war in allem Gott gleich, und doch hielt er nicht gierig daran fest, so wie Gott zu sein. Er gab alle Vorrechte auf und wurde einem Sklaven gleich. Er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen.

 

Liebe Gemeinde!

Darf ein solches Wort das Predigtwort für den Heiligen Abend sein? Geheimnisvoll und unverständlich klingt dieses Wort aus ferner Zeit heute in unseren Ohren. Voller Widersprüche und Gegensätze: Gleichheit und Ungleichheit, Vorrechte und Rechtlosigkeit. Gott und Mensch. Ein Predigtwort für den Heiligen Abend? Sicher nicht für Menschen, die zu Weihnachten die ganze andere Welt vergessen wollen, in aller Gemütlichkeit feiern und für die Kirche nur ein bisschen religiöse Verzierung ist.

Das rechte Wort aber für Menschen, die sich auch an Weihnachten den Blick nicht trüben lassen durch die widersprüchliche Wirklichkeit unserer Welt. Und das rechte Wort für Menschen, die sich zu Weihnachten nicht richtig freuen können. Weil der Tod in ihrer nächsten Umgebung sie betroffen hat, weil zu Weihnachten jemand fehlt, der über all die Jahre immer da war. Weil sie einsam sind oder mutlos, oder überarbeitet, oder krank. Weil für sie Weihnachten mehr ist, als Geschenke, gutes Essen und ein tolles Fernsehprogramm.

Das alte Wort aus ferner Zeit erzählt uns nämlich die Geschichte Gottes in dieser leidvollen Welt. Darum die Widersprüche und Gegensätze. Es erzählt davon, dass Gott sich auf die Unbegreiflichkeit unseres menschlichen Lebens eingelassen hat. Es erzählt, dass Gott all unsere Lebensrätsel, all unsere Fragen und Sorgen und Probleme zu seinen eigenen gemacht hat. Eben deshalb ist uns dieses alte Wort aus ferner Zeit näher als wir zunächst denken. Denn es trifft uns mitten in unsere Lebenswirklichkeit, in unseren Ausweglosigkeiten und Rätseln. Das Wort erzählt von der Geschichte Gottes, die so in unserer Lebensgeschichte Geschichte machen will.

Es geht um Jesus Christus. Um seine Geschichte. Um die Geschichte des Kronprinzen Gottes, der den Palast seines Vaters verlässt. Und das heißt: Es ist die Geschichte Gottes, der aus seiner Rolle fällt. Der sich nicht so benimmt, wie es von ihm erwartet wird. Der sich, wie wir zu Kindern sagen, daneben benimmt.

Was für eine Botschaft zu Weihnachten? Ist das noch die die schöne Geschichte von dem Kind in der Krippe, diesem Märchen, dass fast zu schön ist, um wahr zu sein. Diese idyllische Geschichte, die uns den Frieden zu Weihnachten in der Welt und bei uns zu Hause und vielleicht auch in uns vorspielt, die ein wenig die Wirklichkeit verdrängt. Wir wollen ihr nicht ins Auge sehen. Aber vielleicht ist diese Weihnachtsbotschaft richtige Botschaft für uns widersprüchliche und gegensätzliche Menschen.

Jeder von uns hat seine Widersprüchlichkeiten. Jeder vereint Gegensätze. Jeder weiß um seine eigenen Ausweglosigkeiten. Und darum denken wir uns Gott gerne als den über unsere Gegensätze und Ausweglosigkeiten erhaben ist. Unser Leben hat schließlich ein Ende aber Gott wird noch in aller Ewigkeit auf seinem Thron sitzen. Wir haben unerfüllte Wünsche. Vielleicht gerade heute und darum denken wir uns Gott gerne als den, der unsere Wünsche erfüllt. Wir machen Fehler und spielen unsere Rolle als Menschen. Gott aber macht keine Fehler und er spielt seine göttliche Rolle, die wir so ganz und gar nicht verstehen.

Aber Gott ist nicht in seiner göttlichen Rolle geblieben. Er ist nicht auf seinem Thron weit über der Welt sitzen geblieben und hat amüsiert dem Treiben von uns Menschen zu gesehen. Gott ist aus seiner Rolle gefallen. Er ist aus seiner göttlichen Welt in unsere menschliche Welt gefallen. Aus freier Entscheidung. Mit allen Konsequenzen. Das erzählt uns der Predigttext in Kurzfassung. Eine Geschichte, die noch nicht abgeschlossen ist. Nicht als Paulus dieser Verse an die Gemeinde in Philippi schrieb. Und auch nicht heute, wo wir diese Verse am Heiligen Abend 2003 in Wanheimerort hören. Denn zu dieser Geschichte gehört unsere eigene Lebensgeschichte. Die Geschichte der Welt gehört dazu, bevor sie abgeschlossen ist.

Wenn jemand aus der Rolle fällt, dann ruft das in uns verschiedene Reaktionen hervor. Die einen sind schockiert, schütteln den Kopf und sind empört. Die anderen wenden sich betreten ab, wollen nichts mehr mit diesem Menschen zu tun haben. Einige wenige sagen, endlich mal was anderes… Wenn Gott aber aus seiner Rolle fällt, dann sind wir überrascht, dann verstehen wir ihn nicht. Denn er handelt nicht so, wie wir es erwarten.

Das aber hat Gott damals getan, als er in unsere Welt kam. Jesus wurde nicht in Rom, oder wenigstens in Jerusalem geboren, sondern in einem kleinen Kaff. Fasst vergessen. Obwohl es denen, die im Tempel ein- und ausgehen, es hätten wissen müssen. Doch die lässt es kalt, was da in Bethlehem geschehen ist. Im Gegenteil, es geht die Nachricht, dass sie den aus der Rolle gefallenen Gott umbringen wollen.

Und dann, 30 Jahre später, als Jesus den Weg in die Hauptstadt geht, begleitet ihn die Empörung derer, die nicht ertragen können, dass Jesus sich daneben benimmt. Dass er zu den Zöllnern und Huren geht, dass er Aussätzige und andere unappetitliche Gestalten heilt, dass er den Sabbat nicht heiligt. Dass er nicht ihren Weg geht, den Weg der angeblich durch göttliches Gesetz vorgeschrieben war. Dass er den Sklaven gleich wurde, weil er zu ihnen ging.

Aber einige wenige, nein viele waren es, die sagten: Endlich mal was anderes. Endlich ist Gott auch bei uns. Und nicht nur in den Palästen und bei Reichen. Endlich ist er einer von uns geworden. Und die, die sowieso schon aus der Rolle gefallen sind freuen sich, jubeln und frohlocken über den aus der Rolle gefallenen Gott. Und wie damals, so auch heute.

Die, die nicht fertig werden mit schuld können wieder aufatmen. Die, die nicht mehr glauben können und die, die Schwierigkeiten mit ihrem Glauben haben, die eben nicht an das überirdisch Wesen auf dem fernen Thron glauben können. Die dürfen frohlocken. Denn Gott steht neben ihnen. Er hat die Rolle des Gottlosen, des Gottverlassenen übernommen. Er wurde zum Sklaven. Er wurde ein Mensch. Fern von jeder Macht. Fern davon, die Strippen zu ziehen. Fern davon, irgendeinen von uns zu bevorzugen.

Das macht Probleme. Denen, die meinen, den rechten Glauben zu haben. Da wird ein Widerspruch laut, den unser Bibelwort hat. Denn derselbe, der den Engeln erschienen ist, der wird den Gottlosen und Gottverlassenen verkündigt. Der Engel wird den Heiden gleich. Den Zweifelnden und Ungläubigen. Der Engel wird der Gottlosen Bruder und Schwester. Seit Jesus geboren ist, gehören wir zusammen. Die Engel und die Menschen. Die Gottgleichen und die Sünder. Die Unfehlbaren und die Gescheiterten.

Das war bei der Geburt Jesu schon so. Denn mit den Engeln erfahren als erste die Strolche der damaligen Zeit, die Hirten, die Nichtsesshaften, die Ausgeschlossenen die Botschaft des aus der Rolle gefallenen Gott. Und dann kommen noch Sterngucker aus dem Osten. Leute, die nichts mit Gott zu tun haben. Auch sie erfahren davon, dass Gott Mensch wie wir wurde.

Gott ist aus der Rolle gefallen. Das hat Wirkung. Denn das bewirkt, dass die, die keine Rolle spielen, endlich aufatmen können. Die Rollen, die Rollen, die wir Menschen uns und anderen zuschustern, die spielen keine Rolle mehr. Und merken sie, hier greift die unabgeschlossene Geschichte Jesu Christi in unsere Lebensgeschichte ein. Will uns aus der Rolle fallen lassen, die wir uns selbst zu geschrieben haben. Wenn Gott schon nicht an seiner Rolle festhält, dann sollten wir uns fragen. Müssen wir immer an unseren Rollen festhalten? Dürfen wir uns nicht auch mal daneben benehmen? Und das Unverständliche wird verständlich. Das Geheimsvolle wird erfahrbar. Und all das, weil wir Gott nicht Himmel suchen müssen sondern weil er unter uns ist. Denn er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen.

Liebe Weihnachtsgemeinde!

Der Engelsgleiche ist aus seiner Rolle gefallen. Er war nicht gierig darauf besessen an seiner himmlischen Rolle festzuhalten. Er, der unsterblich war, wurde sterblich wie wir. Ein Kind aus Fleisch und Blut. Von einer Frau geboren, unter Schmerzen, in Bedrängnis. Der Engelsgleiche wirkt unter uns, weil er Mensch geworden Mensch. Weil er sich aus freien Stücken herabgelassen hat in die Niederungen unserer Existenz. Mit allen ihren dunklen aber auch hellen Seiten. Weil er seine Geschichte mit der unseren verbunden hat. Weil er aus seiner Rolle in unsere Rolle hinein gefallen ist. Und seine Geschichte will mit der Lebensgeschichte eines jeden von Geschichte machen. Will neuen Glauben erwecken bei den Kleingläubigen und Ungläubigen, weckt neue Hoffnung bei Entmutigten, gibt neuen Halt den Haltlosen, gibt neue Kraft zum Aufbruch auch für die Trägen und Satten.

Neue Kraft zum Aufbruch? Ja, denn die Geschichte Gottes, der aus der Rolle gefallen ist, ist mit unserem Gottesdienst noch nicht zu Ende. Sie geht weiter. Wenn sie gleich das Gemeindehaus verlassen haben. Wenn sie im Kreis der Familie Bescherung und Weihnachten feiern. Sie geht weiter im neuen Jahr 2004. Denn die Geschichte Gottes will unsere Lebensgeschichte neu weiter schreiben. Will unsere uns zugeschriebene Rolle verändern und neu schreiben. Will die Rolle aller Menschen neu schreiben. Aber da kommt der aus der Rolle gefallene Gott zum Zuge, wo Menschen aus ihrer Rolle fallen. Wo Menschen, die aus ihrer Bahn geworfen, aus ihren ausgetretenen Wegen und eingefahrenen Gleisen geworden werden. Wo Menschen, wie wir im Nächsten den aus der Rolle gefallenen Gott erkennen.

Und so, liebe Weihnachtsgemeinde, es schadet nicht, wenn wir mal aus unserer Rolle fallen. Es kann schon an Weihnachten sein, es kann aber auch erst in den nächsten Tage sein. Unser Gott will uns Mut dazu machen, in allem Traurigen und Schmerzlichen, in allem Rätselhaften und Fragwürdigen, in allen kommt es zu der großen Freude: Gott ist aus seiner Rolle gefallen. Gott ist Mensch geworden. Gott sei Dank. Halleluja. Amen

 

Pfarrer Jürgen Muthmann; Predigt am Heiligen Abend 2003, nach einer Predigt von Rainer Stuhlmann über 1. Tim 3,16

 
Email: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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