Predigt am Heiligen Abend, 24. Dezember 2002, Gemeindehaus Vogelsangplatz, Duisburg -Wanheimerort
über
Lukas, Kapitel 2, Vers 10a: Fürchtet Euch nicht!
Gnade
sei mit euch von dem der da ist, der
da war und der da kommt, Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen
Geist! Liebe Gemeinde!
Warum
sind sie heute abend hier? Warum sind sie in den Gottesdienst gekommen? Um die
Weihnachtsbotschaft zu hören? Um ein paar Minuten der Ruhe in der Hektik des
weihnachtlichen Stresses zu finden? Weil der Besuch eines Gottesdienstes ganz
einfach dazu gehört? Gute Musik zu hören? Oder um sich in die richtige
Weihnachtsstimmung versetzen zu lassen?
Es
kann passieren, dass ich ihnen diese Weihnachtsstimmung gründlich vermiese.
Denn ich will ihnen nicht die Frohe Botschaft verkündigen. Ich will ihnen Angst
machen. Einen Schrecken, der ihnen in die Glieder fährt und sie nachdenklich
macht. Ich will ihnen zeigen: Ohne Angst ist Weihnachten nicht zu haben!
Liebe
Gemeinde!
Es
ist ein Gerücht im Umlauf. Mehr als 50 Sympathisanten sind in Mitteleuropa
unterwegs, um einen Anschlag mit biologischen Waffen durchzuführen. Fürchtet
euch nicht!
Die
Truppenbewegungen an der Grenze zum Irak und die dauernde Kritik über den
Bericht der irakischen Regierung zum Besitz von Massenvernichtungswaffen lässt
einen früheren Beginn eines Krieges gegen den Irak wahrscheinlich werden. Fürchtet
euch nicht!
Die
von der Bundesregierung beschlossenen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen stellen
die medizinische Grundversorgung der deutschen Bevölkerung in Frage. Fürchtet
euch nicht!
Die
Angst vor neuen Steuern und Einsparmaßnahmen lassen viele Bundesbürger mit großer
Skepsis in die Zukunft sehen. Derweil verhungern in Zimbabwe taufende von
Menschen. Fürchtet euch nicht!
Liebe
Gemeinde! Was haben Weihnachten und Angst miteinander zu tun? Es soll doch das
große Fest der Freude sein. Ist es nicht ein himmlischer Engel, der da den
Hirten zuruft: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk
widerfahren
wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in
der Stadt Davids. Wenn Engel in der Nähe sind, wer sollte da noch Angst haben!
Und dennoch, Weihnachten, das ist nicht nur die helle Seite, die Idylle in und
an der Krippe, die knienden Hirten, und die drei Weisen, die mit ihren kostbaren
Geschenken das Herz des kleinen Kindes erfreuen wollten.
Weihnachten
hat auch eine zutiefst dunkle Seite. Eine Seite, die Angst macht, vor der wir am
liebsten die Augen verschließen, die wir mit Lametta und Lichterketten behängen,
damit wir sie bloß nicht bemerken. Dabei ist es doch offensichtlich, dass
Weihnachten und Angst zusammengehören. Ohne Angst ist Weihnachten nicht zu
haben. Fürchtet euch nicht!
Maria
und Josef, ein Menschenpaar, das Grund genug zur Angst hatte. Angst von der
Familie ausgestoßen zu werden. Noch nicht verheiratet und schon schwanger, was
für eine Schande. Angst ums Auskommen, das tägliche Brot. Arbeit war damals
rar. Josef wird über jeden Gelegenheitsjob froh gewesen sein. Angst, als dann
die Volkszählung anstand. Der Weg, beschwerlich und gefährlich. In den Bergen
Judas trieben sich Horden von mordenden Banden herum, die nur darauf warteten,
wehrlosen Wanderern am Wege auf zu lauern. Die bevorstehende Geburt. Das erste
Kind. Und keine vertraute Menschenseele in der Nähe. Die Suche nach einem
Zimmer in Bethlehem. Vergeblich. Und schließlich nur der Stall oder eine Höhle,
beides diente als Unterkunft für die Tiere auf der Weide. Irgendwie ging es,
irgendwie wurde Jesus geboren. Unter Schmerzen. Und sicherlich auch Angst. Alles
nur Gottvertrauen oder auch eine gehörige Portion Angst? Fürchtet euch nicht!
Und
die Hirten auf dem Felde? Einfache Menschen. Am Rande. Nicht besonders geachtet.
Eher vielerorts geduldet. Saßen zusammen, um ihre Herde zu schützen. Aus Angst
vor Wölfen oder auch Löwen, die es damals in der Gegend noch vereinzelt gab.
Der Schreck in den Gliedern, als der Engel sie anspricht: Fürchtet euch nicht!
Die
Angst in der Weihnachtsgeschichte. Sie ist allgegenwärtig. Wir brauchen nur ein
wenig den Vorhang zu heben und schon jagt sie uns ihren Schrecken ein. Die
Heilige Familie hatte Angst um ihr tägliches Überleben. Auch nach der Geburt
Jesu. Die Hirten hatten Angst um ihre Herden und das eigene Leben. Wer sagt
denn, dass ihre Herden unberührt blieben, als sie an der Krippe waren? Und ganz
am Anfang. Zu jener Zeit ordnete Kaiser Augustus an, dass alles Volk gezählt
werden sollte. Der römische Kaiser für die einen gottgleich, für die anderen
die Verkörperung der Angst. Vor seinen Eroberungsgelüsten, vor seinen
raffgierigen Provinzherrschern, vor der Macht seiner geballten Truppen.
Widerstand war zwecklos. Das Volk am Boden. Armut allerorten. Statt
hellleuchtender Zukunft blickte die meisten auf das dunkle Tal des Todes.
Es
waren Zeiten der Angst, in denen sich Weihnachten ereignete. Weihnachten eine
Geschichte der Angst. Ohne Angst ist Weihnachten nicht zu haben! Die Angst gehört
zu Weihnachten, wie das Stroh in der Krippe. Wie Ochs und Esel im Stall. Wenn
sie nicht da wäre, würde etwas Wichtiges fehlen. Fürchtet euch nicht!
Zwischenmusik...
Liebe
Weihnachtsgemeinde! Fürchten sie sich!? Gibt es Dinge, vor denen sie besonders
Angst haben? Ihr Einkommen? Ihr Hab und Gut? Ihr Haus oder ihre Wohnung? Ihre
Familie und ihre Freunde? Oder haben sie Angst um ihre Gesundheit, ihr Leben,
vor dem Tod? Fürchten sie sich? Fürchten sie sich gar vor Weihnachten? Das mag
nicht unbegründet sein. Denn dieses Fest der übertriebenen Erwartungen und
vieler tiefer Enttäuschungen kann einem ganz schön Angst machen.
Die
dunkle Seite der Weihnacht, die blenden wir nur zu gerne aus. Das, was uns Angst
macht, das uns in Frage stellt, unser tägliches Handeln, unsere Beziehungen,
unser ganzes Leben. Da bekommen wir es mit der Angst tun. Also lieber nicht darüber
nachdenken, oder zumindest bis nach Weihnachten, am besten nach Sylvester
verschieben. Der Weihnachtsfestkater kommt noch früh genug. Jetzt erst mal ein
paar schöne Tage..... Doch wer so Weihnachten feiert, der hat Weihnachten nicht
verstanden. Wer Weihnachten nur mit Lametta und Lichterglanz behängt, mit
Geschenken und Festbraten garniert, der hat nichts verstanden, von der dunklen
Bedrohung, die hinter der Krippe im Stall steht. Der sollte sich fragen, ob er
lieber nicht ganz auf Weihnachten verzichtet. Der kann auf das Kind in der
Krippe verzichten. Der kann auch an jedem anderen Tag des Jahres einen Anlass für
ein schönes Fest finden. Wem Weihnachten nicht mehr Angst macht, der ist nicht
mehr zu retten. Wo nichts zu retten ist, da ist Weihnachten fehl am Platz!
Vielleicht
rührt bei uns daher diese diffuse nicht zu packende Angst vor Weihnachten. Vor
diesen Tagen mit ihren besonderen Ansprüchen und Erwartungen. Diese Tage, in
denen die heile Welt in unseren Familien unterm Weihnachtsbaum stattfinden soll.
Diese Tage, in denen wir am liebsten von nichts und niemanden mehr gestört
werden wollen. Vielleicht liegt da genau der Fehler, dass wir uns die dunkle,
angstmachende Seite von Weihnachten nicht mehr zumuten.
Die
meisten von ihnen haben vor irgendetwas Angst. Kennen Menschen in der nächsten
Nähe, die von Schicksalsschlägen betroffen sind. Eine Diagnose, Krebs, ist
Rettung möglich. Den Arbeitsplatz verloren, wegrationalisiert, nicht mehr
gebraucht. Eine Ehe, aus hoffnungsvoller Liebe wurde abgrundtiefer Hass. Der
Vater liegt im Sterben, was soll ohne ihn werden? Was soll da Weihnachten fragt
sich dann mancher. Ich habe keinen Grund Weihnachten zu feiern! Nichts mit
Idylle und festlicher Stimmung. Mir ist zum Heulen zumute. Wir tun gerne so als
ob es nur die Alternativen gibt: Heile Weihnacht oder gar keine Weihnacht!
Doch wie soll es heile Weihnachten geben, wenn die Welt nicht heil ist, wenn wir Menschen nicht heil sind, wenn wir keinen Grund zur Angst haben. Wäre diese Welt heil gewesen, wäre dann dieses kleine Kind in der Krippe geboren worden. Wäre dann dieser Jesus durch die Lande gezogen, hätte den Menschen von Gott erzählt, hätte er Menschen geheilt, die unheilbar waren? Warum ist er ans Kreuz genagelt worden? Weihnachten ist nicht die Heile Welt. Weihnachten ist der Beginn der heilen Welt. Wo nichts zu retten ist, da ist Weihnachten fehl am Platz! Doch Weihnachten kommt der Retter in unsere Welt. Der Heiland Jesus Christ. Fürchtet euch nicht!
Diese
Welt ist zu retten! Wir sind zu retten! Warum sonst kommt Gott in unsere Welt?
Er will uns retten. Aus unseren Ängsten. Von den dunklen Seiten unseres Lebens.
Gerade da, wo es dunkel ist in unserem Leben, wo die Angst regiert, da streckt
er seine Hand aus, will uns die Furcht nehmen. Aus Angst will er Freude machen.
Liebe
Weihnachtsgemeinde! Ich wollte ihnen ein wenig Angst machen. Ob es mir gelungen
ist, weiß ich nicht. Aber nehmen sie die Botschaft mit nach Hause: Ohne Angst
ist Weihnachten nicht haben. Wo es nichts retten gibt, da braucht es keine
Weihnacht! Doch Rettung tut not. Vor einem drohenden Irakkrieg. Vor Hunger in
der Welt. Vor heimtückischen Anschlägen. Vor persönlichen Schicksalsschlägen.
Weihnachten kann werden, wo uns die Angst genommen wird. Das und nichts anderes
wollte Gott uns zeigen in der Geburt seines Sohnes zu Bethlehem. Vor mir braucht
ihr keine Angst zu haben. Ich bin für euch da und will euch alle Angst nehmen.
Vor der Gegenwart, vor der Zukunft, vor euren Nächsten. Das Weihnachten wird,
liegt auch an uns. Wenn wir anderen die Angst nehmen, wenn wir die Hände zur
Versöhnung und zur Hilfe reichen, wenn wir Menschen Beistand leisten in den
schwersten Stunden ihres Lebens, dann ist es wie Weihnachten. Nicht nur in der
Weihnachtszeit, auch mitten im Jahr.
Fürchtet
euch nicht, denn siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk
widerfahren wird. Denn euch ist der Retter geboren, welcher ist Christus, der
Herr, in Bethlehem. Geben sie diese Botschaft allen weiter, wie die Hirten auf
dem Feld, dann wird es Weihnachten.
In
diesem Sinne wünsche ich Ihnen Gesegnete und Frohe Weihnachten. Amen