Predigt über 1.Petrus 5,1-5 am 6.5.2000 (Misericordias Domine)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Herrn und von Jesus Christus, seinem Sohn, unserem Herrn
Liebe Gemeinde!
Der für heute vorgeschlagene Predigttext birgt für jeden Pfarrer, für jeden Prediger, eine große Versuchung in sich. Eine Versuchung, der zu widerstehen nicht leicht fällt. Besonders mir nicht.
Die Versuchung, es manchen Leuten der Gemeinde zu zeigen, wo es langgeht. Die Versuchung, manchen Leuten in der Gemeinde mal den Kopf zu waschen. Das mag sicherlich ab und an mal angebracht sein. Doch darum geht es mit heute nicht. Dieser für heute vorgeschlagene Predigttext betrifft nämlich insbesondere eine Personengruppe unserer, jeder evangelischen Kirchengemeinde.
Es ist die Gruppe der Presbyter, der Kirchenältesten, derjenigen, die durch Wahl von der Gemeinde mit der Leitung derselben beauftragt werden. Eine Predigt über die Presbyter und ihre Aufgaben wäre aber zu einseitig. Es sind nicht alle da. Und außerdem müßten sie Gelegenheit haben, zur Predigt Stellung zu beziehen, oder sie gar mit selbst vorzubereiten. Die Versuchung wäre wie gesagt groß. Gerade wenn ich an die Presbyteriumssitzung am übernächsten Dienstag denke und die darin anstehenden Entscheidungen. Doch wenn ich einen Vers zum Predigttext noch hinzunehme, ändert sich die betroffene Personengruppe schlagartig. Dann geraten zunächst die jungen der Gemeinde mit in den Blick, dann aber wir alle.
 
Der P-Text steht im 1.Petrus 5,1-5
(vorgeschlagen für den Sonntag ist 1.Petr. 5,1-4)
1 Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll:
2 Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
3 nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
4 So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
5 Desgleichen, ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter.
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht dem Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
 
Liebe Gemeinde! Wie gesagt. Die Versuchung für den Prediger ist groß. Ebenmal ex cathedra den Presbytern zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Aber wie schon der letzte Vers anklingen läßt: Hochmut kommt vor dem Fall und manchmal tut ein bißchen Demut gut. Deshalb tun wir alle tun gut daran, den letzten Satz ernst zu nehmen. Und wenn wir diesen Satz ernst nehmen wollen, müssen wir vor allem das Subjekt dieses Satzes ernstnehmen. Das Subjekt dieses Satzes ist Gott. Er widersteht den Hochmütigen. Nicht wir. Nicht der Pfarrer. Nicht der Presbyter. Nicht irgendwelche moralischen Vorstellungen in uns. Gott widersteht den Hochmütigen aber nicht, weil sie besonders schwer zu ertragende Menschen sind, unsympathisch und unbeliebt. Wenn Gott den Hochmütigen widersteht und den Demütigen Gnade gibt, hat er dafür einen triftigen Grund. Ein Grund im Herzen Gottes widersteht dem Hochmütigen. Und aus Herzensgrund gibt Gott den Demütigen Gnade. Da gilt es aufzupassen, nicht auf die beiden Schlagwörter Hochmut und Demut zu achten, sondern auf den, der dahinter steckt, der uns verrät, was diese uns gar zu geläufigen Worte zu sagen haben. Und schnell ist man der Versuchung erlegen, eben nicht auf den zu hören, der hinter diesen Worten steckt. Man redet über die Presbyter, über die Jungen Menschen in der Gemeinde, statt mit ihnen und trägt den Kopf und die Nase so hoch, daß man beide schließlich nicht mehr nach unten bewegen kann, verharrt in einer Art geistlichen Genickstarre, rümpft die Nase über die da unten, schnuppert lieber Höhenluft und merkt gar nicht mehr, daß man den Boden unter den Füßen verliert, spürt nicht mehr, wo man hintritt und tritt unversehens den anderen auf die Füße, wundert sich schließlich, wenn der empört einen den Rücken zudreht und bei Fuße stehen läßt.
Das passiert eben schnell, wenn man den vergißt, der hinter diesen Worten steht. Denn der blickte nicht über unsere Köpfe hinweg, rümpfte nicht die Nase, obwohl er angesichts des Elends in unserer Welt allen Grund dazu gehabt hätte. Und da hilft es nicht, wenn wir unseren Kopf nach oben heben, um ihn dort oben zu finden. Unversehens gingen wir am ihm vorbei und würden das in unserem Hochmut nicht einmal merken.
Vor zwei Wochen haben wir Ostern gefeiert, uns an der Auferstehung Jesu Christi gefreut und wir tun deshalb gut daran, uns zu erinnern, daß der mit erhobenen Haupt lebende Christ, seinen Blick nach unter zu richten hat. Denn das erhobene Haupt und der nach unten gerichtete Blick widersprechen einander nicht. Und das weiß der Verfasser dieses Briefes. Er nennt sich ausdrücklich Zeuge der Leiden Christi. Es ist ein Botschafter der Auferstehung, der sich so nennt. Der auferstandene Jesus Christus ist ohne sein Leiden, ohne seine Passion nicht zu haben.
Jesus Christus will nicht in der Höhe über unsere Köpfe hinweg regieren. Er will zugleich in der Tiefe, bei uns und mit uns und für uns sein. Auf Augenhöhe. Jesu Sieg über den Tod will deshalb auch nicht in schwindelerregenden Höhen gefeiert sein. Jesu Sieg feiern heißt: Sich seiner Leiden und seines Versagens nicht zu schämen, das er unten bei uns erlitten hat.
Jesu Sieg feiern heißt deshalb: Ja zu sagen zu dem Boden unter unseren Füßen und damit Ja sagen zu allen Menschen, die auf diesem Boden neben, vor oder hinter uns stehen. Auf diesem Boden unter uns hat Gott selbst Fuß gefaßt. Und das wäre Hochmut gegen Gott, wenn wir diesen Boden, auf dem wir alle mit Gott stehen, aus den Augen verlieren. Wer nur nach oben schaut, den Sinn des Lebens im Himmel sucht, der nimmt das unten, die Menschen nicht mehr ernst. Der nimmt Gott nicht mehr ernst. Und geht erhobenen Hauptes an Gott, an Jesus auf der Erde vorbei.
Der Glaube an Jesus Christus, an dem Auferstandenen, wäre also ein gefährliches Unternehmen, wenn er aufhört, sich an Jesu Leben und Sterben auf der Erde erinnern. Gott nur in der Höhe - das ist ein böser Glaube, um keinen Deut besser als viele verführerische Vorstellungen, rechten und linken Vorstellungen, mit denen man sogar über Leichen gehen kann. Und das sogar, ohne es zu merken. Wir werden also ermahnt, demütig zu sein, nach unten zu schauen, auf den Boden unter unseren Füßen und auf die Füße derer, die mit uns leben.
Und Festhalten sollen wir sie, die Demut. festhalten und nicht mehr loslassen. Festhalten klingt hier nach Arbeit. Nach schwerer Arbeit. Wer seinen Nächsten wirklich ernstnimmt, der kann ihn eben nicht leicht nehmen. Jeder von uns wiegt schwer, wenn er ernstgenommen wird. Demut ist dann die harte Arbeit, das Leben eines anderen Menschen in seinem ganzen Gewicht, in seinen Eigenheiten, Schwächen und Stärken zu ertragen und notfalls auch zu tragen, ihn in Gottes Namen über persönliche Abgründe hinwegzutragen, ihn in Gottes Namen vorwärts zu tragen, wenn er mal eine Durststrecke hat, ihn aber auch anzuhalten und ihn klar und deutlich die Meinung zu sagen, wenn es nötig ist. Demut ist harte Arbeit. aber so nimmt man sich ernst. So läßt man sich gelten. Das alles ist aber kein Kinderspiel. Einander zu ertragen, die Meinung des Anderen zu ertragen und notfalls mitzutragen, gar zu fördern, in der Kirche Jesu Christi nicht nur nebeneinander, sondern füreinander da zu sein, das ist die Demut, der Gott Gnade verheißt. Für einander da sein heißt auch immer, aneinander arbeiten. Und diese Arbeit tun - das heißt Demut.
Demut ist Mut zur Arbeit aneinander. Und wer sich vor dieser Arbeit drückt, hochgereckten Kopfes, der ist ein Drückeberger, der ignoriert den Boden unter seinen Füßen, auf dem Gott neben ihn steht. Und da bleibt von der Versuchung am Anfang wenig übrig. Denn ohne diese Demut, diesen Mut zur Arbeit miteinander und aneinander ist die Arbeit in einem Presbyterium nicht möglich. Ohne diesen Mut einander zu ertragen und zu tragen, wäre ein Presbyterium nicht arbeitsfähig. Das aber muß es sein, denn ihm gilt der Auftrag: weidet die Herde Gottes, sie ist ihm anbefohlen. Nicht nur die Pfarrer sind Hirten, auch die Presbyter. Menschliche Hirten, Hirten, die irren können, die falsche Wege beschreiten, in guter Absicht, doch mit unbeabsichtigten Folgen.
Demut schützt aber auch vor dem Hochmut und ein hochmütiges Presbyterium mag noch schlimmer sein als ein hochmütiger Pfarrer oder Pfarrerin. Wenn das Presbyterium oder einzelne Mitglieder sich zu Herren der Gemeinde aufspielen, zum Klerus wie es im griechischen Text heißt, die Gemeinde als ihren Klerus, ihren Erbteil betrachten. Gemeinde hat aber nur einen Herren, unseren Erzhirten Jesus Christus, wie der Text sagt. Ihm gehören wir alle. Wir sind sein Erbteil. Pfarrer und Presbyter sind von ihm nur beauftragt, zu leiten, zu weiden, für seine Gemeinde da zu sein, mit ihr zu sein. Immer das Gute, das Beste für die Gemeinde zu suchen, und gutes Gefundenes zu entscheiden, in die Tat umzusetzen. Wer Leitung hat, ist aber auch immer der Versuchung ausgesetzt, Leitung zu mißbrauchen, seine eigene Vorstellungen allein für richtig zu befinden, nicht auf die anderen Presbyter, die Gemeinde zu hören, sie gar zu überhören. Hochmut aber braucht die Gemeinde Jesu Christi, sein Erbteil auf Erden nicht. Denn Hochmut kommt vor dem Fall. Hochmut, der dann zum Kampf mit den anderen und sich selbst wird, der voreinander die Augen verschließen läßt, der eine wird kritikunfähig, ein anderer der Besserwisserei bezichtigt. Presbyter tun gut daran, ihr Ohr an der Gemeinde zu haben und Gemeinde tut gut daran, ihren Presbytern ihre Sorgen und Nöten, aber auch die Freude mitzuteilen.
Da ist Demut ist vonnöten, manchmal sehr viel Demut, Demut, die sogar schmerzen, so schmerzen kann, das nichts von der Freiwilligkeit mehr zu spüren ist, die dem Presbyteramt zu eigen ist. Da muß man sich einander tragen, füreinander da sein, gegenseitig den Schmerz lindern.
Der Verfasser des Briefes nimmt noch eine Gruppe ins Auge: Die jungen Menschen der Gemeinde. Damals waren die Presbyter meist wirklich ältere Menschen für ihre Zeit, jenseits der 30 oder 40, doch viel älter wurden nur sehr wenige. Denen sollten sich die Jungen unterordnen. Keine Unterordnung auf Biegen und Brechen, eher eine Unterordnung, wie sich Kinder ihren Eltern unterordnen sollen. Keine Unterordnung, die die Jungen jeglicher Verantwortung beraubt, sondern eine Unterordnung in gegenseitiger Demut. Unterordnung und Demut, keine Modewörter für die Jüngeren unter uns. Auch für mich nicht. Beides eher verachtete Wörter. Doch gegenseitige Demut, das gegenseitige Festhalten an ihr, ist harte Arbeit aneinander, füreinander, miteinander. da darf keiner den Kopf hochheben, über andere hinwegschauen in der Meinung, die haben sowieso keine Ahnung. Gleich, ob jung oder alt, ob Presbyter oder normales Gemeindeglied. Demut ist eben Mut zur Arbeit aneinander. Und viel Demut ist notwendig, wenn wir als Gemeinde gemeinsam leben wollen.
Demut kann sein, wenn die Älteren und die Presbyter auch mal ungewöhnliche Ideen der Jüngeren zu lassen, ihre Hilfe anbieten, ihnen Mut machen, sie in die Tat umzusetzen, ihnen Mitverantwortung geben: Für Räume in der Gemeinde, für deren Gestaltungen. Demut kann sein, wenn die Jüngeren die Älteren nicht gleich beschimpfen, sie für rückständig und verkalkt halten, weil sie sich unverstanden fühlen, nicht ernstgenommen.
Demut kann da in der Gemeinde sein, wenn Presbyterium und Pfarrer auf die Belastung ihrer Mitarbeiter in der Gemeinde achten, egal ob es Haupt- oder Ehrenamtliche sind. Wenn sie die Mitarbeiter vor zu viel Arbeit schützen und sie nicht ausnutzen, bewußt oder unbewußt.
Demut heißt eben, sich aneinander auf die Füße zu schauen, der Versuchung zu widerstehen auf dieselben zu treten, nur um sich durchzusetzen. Das ist kein Kinderspiel. Das ist harte Arbeit, erfordert Zeit, Offenheit und Gespräche. Denn in unserer eigenen Gemeinde zeigt sich, ob wir in der Demut Jesu Christi leben, einander auf Augenhöhe begegnen. So läßt man sich gelten. So arbeitet man im Namen Gottes an der Gemeinde Jesu Christi, aus Herzensgrund. So weiß man sich geweidet als Herde Gottes auf Erden. so wird bei uns als demütige Gemeinde Jesu Christi seine Gnade gegenwärtig sein, unser Leben und Handeln bestimmen. Manchmal brauchen wir ein bißchen Mut zur Demut. Doch den will uns der Auferstandene geben. Jeden Morgen und Abend aufs Neue.
 
Und der Friede Gottes welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Demut durch Jesus Christus. Amen.
 
Pfarrer Jürgen Muthmann EMail: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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