Predigt über Jesaja 65, 17-19; 23-25 am letzten "Samstag" des Kirchenjahres, 25.11.2000

Gnade sei mit euch von dem, der da war, der da ist und der da kommt, dem Vater dem Sohn und dem Heiligen Geist!

Liebe Gemeinde!

Es geht um die Ewigkeit. Es geht um einen Traum der Ewigkeit. Es geht darum, zu träumen und zu sehen! Hören wird den vorgeschlagenen Predigttext aus Jesaja 65, 17 - 19; 23 - 25:

17 Denn „siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, aß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird."

18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,

19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.

23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.

24 Und es soll geschehen: „ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.

25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange Mus Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde!

Das sind schöne Worte. Worte in der Sprache der Sehnsucht und der Hoffnung. Eine Sprache, die tröstlich ist in dieser Zeit, am Totensonntag, im November, in der trüben Jahreszeit, in der die Tage immer kürzer und die Nächte länger werden. Da tun diese sehnsüchtigen Worte gut, da nehmen diese Worte etwas von der Schwere und der Prägung dieses Tages.

Aber sie sagen auch: Die Erde und der Himmel sind alt geworden. Jahrmillionen, gar Jahrmilliarden stehen sie da, und nur einige Jahrtausende an Geschichte des Menschen und der Erde überblicken wir. Die alte Mutter Erde, der alte Vater Himmel. Zärtlichkeit schwingt mit - es ist ja unsere Erde, unser Himmel. Das Alter geht mit der Ehrfurcht Hand in Hand. Diese Erde, sie hat viel erlebt - sie hat uns viel gegeben. So viel an Schönem und Bedeutendem hat sich abgespielt auf dieser Erde, unter diesem Himmel, und wir leben voll davon. Die Humanisierung der Arbeit: was Mus das für ein Sklavendasein gewesen sein in früheren Zeiten. Die Fortschritte der Technik und der Medizin: wie hilflos waren die Menschen früher den einfachsten Krankheiten ausgeliefert gewesen, wie mühsam war das Leben insgesamt. Die Geschichte der Künste allemal. Was wäre unsere Welt ohne Bach und Mozart und die Beatles, ohne Michelangelo und Picasso und Andy Warhol, ohne Chartres und Charly Chaplin, Sean Connery. Alt ist die Erde geworden und der Himmel über ihr, den die Flugzeuge und die Satelliten rund um die Erde durchflügen. Alt und ehrwürdig und reich ist sie geworden, und wir fahren ihre Geschichte als Ernte ein in unsere Scheunen.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Alt ist unsere Erde und unser Himmel geworden, ehrwürdig, aber auch verbraucht. Krank sind sie geworden. Krank sind Erde und Firmament wahrscheinlich schon lange, aber heute wird einem das immer mehr bewusst. Der Reichtum der Erde schwillt an, aber zwei Drittel der Menschheit haben nicht genug zum Leben. Armut und Hunger wachsen selbst in unserem Land, nur wenige wollen es wissen. Das Zunehmen der Weltbevölkerung droht in diesem Jahrhundert die Erde zu überfluten. Es ist nicht mehr nur Gutes, was von oben kommt. Orte der kranken Welt prägen sich ein, sie wechseln, sind schnell vergessen. Seweso hießen sie gestern und Tschernobyl, heute Kursk und Kitzsteinhorn, Orte, an denen die Krankheit der Welt wie ein Geschwür aufbricht. Schnell sind die Namen wieder blankpoliert, Solingen und Mölln, aber die Krankheit ist überall. Und wer für die Gesellschaft mitverantwortlich ist, der fühlt sich wie eine Feuerwehr auf der Lauer, damit der Brand nur nicht ausbricht und um sich greift. Das Bewusstsein der alten Welt als eines Verbrauchtseins, als eines Endes ist – wie das Wissen um die Ehrwürdigkeit und Schönheit – unablässig da. Tag für Tag wird uns zugemutet, Probleme zur Kenntnis zu nehmen, die offensichtlich niemand lösen kann. Das Gefühl der Ohnmacht ist unausweichlich geworden. Das Gefühl des Verbrauchtseins und des Endes, Ja, die alte Erde und der alte Himmel.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Da klingt die Sehnsucht nach einer grundlegenden Veränderung aller Dinge durch. „Früher war alles besser, Herr Pfarrer, da konnte man sich abends noch auf die Straße trauen, da gab es nicht soviel Habgier unter den Menschen. Da kümmerte man sich noch um den Nächsten. Ach, diese Welt ist nicht mehr, was sie mal war."

Oft höre ich diese Worte des Klagens und des Weinens. Worte, die die alte Welt wieder zurückwünschen. Und meine leise Frage, ob denn wirklich alles besser war, verhallt ungehört in den Räumen, wo wir uns begegnen. Dabei hat diese Sehnsucht ihr Recht. Doch diese alte Welt, diese Welt von gestern, die möchte ich nicht wiederhaben. Es gibt eben zu viel in ihr, worüber wir Klagen und Weinen können. Ich glaube nicht, dass sie besser war als die Welt von heute. Man mag den „guten alten Zeiten" nachweinen, doch es gibt genug in ihr, das wirklich Anlass zum Weinen gibt. Die jüngste Vergangenheit unseres Volkes zeigt dies nur zu deutlich.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Nicht das Alte sollen wir erhoffen, sondern das Neue. Es sind nicht wir Menschen, die diese neue Zukunft schaffen. Denn davor könnte uns grauen. Immer mehr, immer besser. Der Machbarkeitswahn. Wir schaffen unsere Welt neu. Neue Pflanzen, neue Tiere, neue Menschen. Perfekt - Fehlerlos - gottlos. Nein, ich halte viele neue Entwicklungen für nützlich, und auch für ein Geschenk Gottes, der uns die Möglichkeit gibt, unsere Welt und ihre Zusammenhänge zu entdecken. Aber wir schaffen nicht den neuen Himmel und die neue Erde, wir können höchstens die Fehler der alten Erde korrigieren. Unsere Fehler!

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Da spricht die Sehnsucht nach der grundlegenden Veränderung der ganzen Welt zu uns. Nicht das Alte, Vergängliche hat die Macht über uns, sondern der die ganze Welt in seinen Händen hält. Der beschlossen hat, das die Stimme des Klagens und des Weinens aufhören wird. Das Kinderkrankenhaus in den Kliniken am Kalkweg, von dem soviel Segen ausgegangen ist, das aber auch so viel Leid gesehen hat, kann geschlossen werden. Die Kinder werden nicht mehr für einen frühen Tod gezeugt. Die Todfeinde der Natur, Wolf und Schaf, werden nebeneinander weiden. Der Löwe wird Stroh fressen; nun, wenn der Löwe Stroh frist, so ist er kein Löwe mehr. Aber wir verstehen schon, was gemeint ist: das gefährlichste der Raubtiere wird der Gefährte des Menschen sein. Gerechten Lohn für gute Arbeit, Citycritic und ähnliche Proteste sind überflüssig, die Arbeitsämter schließen ihre Pforten, denn Arbeit für alle wird es geben. Die Kirchen werden leer sein, denn die Gebete werden nicht mehr gegen die geschlossene Tür des Himmels prallen. Die Welt ist das, wozu sie geschaffen ist: eine Welt der Gerechtigkeit, der Schönheit und des Friedens. Und der Himmel wölbt sich schützend über diese Erde. Und Gott selbst lebt in dieser Welt. Mitten unter den Menschen. Mitten in seiner Schöpfung. Überschwänglich ist die Sprache der Sehnsucht. Sie geht aufs Ganze. „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen."

(Den Totensonntag begehen wir morgen, liebe Gemeinde. Jeder und jede von uns hat an Tote und Verstorbene zu denken. Mütter, Väter, Geschwister, Freunde, Kollegen auf der Arbeit. Jemand ist darunter, dessen Fehlen besonders schmerzt, dessen Sterben mein Leben verändert hat. Eine Wunde ist da, die sich nicht mehr schließt. Wir gedenken vor allem derer, die im letzten Jahr heimgerufen sind. Alte Menschen sind darunter und solche, die noch in der Mitte ihres Lebens standen. Immer wieder sterben auch Kinder, oft Kinder, deren Namen wir nicht einmal nennen können, weil sie zu früh oder tot geboren worden sind. Es war ihnen nicht vergönnt zu leben. Wir wollen die Erinnerung heute in uns zulassen und den Schmerz. So vieles ist ungesagt geblieben, so vieles unvollendet. Die alte Erde und der alte Himmel, das ist das Leben, das zu Ende geht und sich verbraucht.)

„Aber siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, aß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird." Mitten im Getöse der alten Welt, mitten in dem Zusammenhang des zu Ende gehenden, des verbrauchten Lebens erhebt der Glaube seinen Kopf. Tastet die Sehnsucht nach Worten, die Ungeheures ansagen. Spuckt der Glaube seine Ohnmacht heraus, schluckt sie nicht herunter - schreit unter Schmerzen, klammert sich mitten im Weinen und Klagen an eine absolute Gewissheit. Ja, das gibt es und das wird es geben: den neuen Himmel und die neue Erde. I have a dream, hat Martin Luther King diese Sehnsucht genannt. Ich habe den Traum, aß eines Tages ehemalige Sklavenhalter und ehemalige Sklaven am Tisch der Brüderlichkeit sitzen werden. Und dann ist er losgezogen mit dieser unbändigen Sehnsucht im Herzen nach der gewaltfreien Gemeinschaft zwischen weißen und schwarzen Menschen und hat dafür geredet und dafür gekämpft. Und gestorben.

Den neuen Himmel und die neue Erde: viel zu groß ist natürlich diese Sehnsucht für das Herz des Menschen, die Sprache seiner Wünsche geht über das Vorstellbare weit hinaus. Das Maßlose seiner Wünsche macht den Glaubenden auch ein Stück heimatlos, macht ihn zum Unruheherd in der Gesellschaft. Arbeit für alle und gerechten Lohn, und des Klagens und Weinens soll ein Ende sein. Das widerspricht dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und des Weltmarktes. Der Sprache der Banalität, die alles nur in Mark und Pfennig auszurechnen weiß und zufrieden ist, wenn nur die eigene Rechnung stimmt? Nein, die Sehnsucht der Glaubenden reicht weiter, zieht sich nicht auf das Eigene, auch nicht auf die Kirche zurück, behält den Horizont der ganzen Erde und sogar den Himmel noch im Blick. Weinende, Verzweifelte, Obdachlose, Hungernde, Serben und Bosnier, Juden und Palästinenser, Einheimische und Fremde gehören mitten hinein in diesem Horizont.

„Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Ist das eine Illusion, liebe Gemeinde, eine blödsinnige Hoffnung, eine theologische Clownerie, über die man nur herzhaft lachen kann, weil der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit so unendlich ist? Mag sein, ich kann das alles nicht beweisen. Aber eines weiß ich sicher: aß genau dies die Sprache des Glaubens ist. Der Glaube kreist um das Geheimnis Gottes. Nicht um die schöne neue Welt geht es, die kluge Politiker irgendwann schaffen werden. Nein, „Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen." Gott ist es, der da sagt: „Ich will." Er handelt - er ist der Schöpfer. Der Erde und Welten aus dem kreisenden Wirbeln des Chaos – wahrscheinlich in evolutionären Prozessen – geschaffen hat. Der mit der Zielgenauigkeit der Liebe die Erde, die Kreaturen, den Menschen schuf: weder ein Zufalls- noch ein Abfallprodukt ist ja noch der Mensch. Der über die Welt die Bestimmung einer guten, schönen und gerechten Ordnung gelegt hat. Der den Schlingenkurs der schönen/schrecklichen Menschheitsgeschichte mit seinen Mahnungen, vor allem aber mit unglaublichen Verheißungen begleitet. „Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen."

Und dann vor 2000 Jahren, da wurde die Sprache der Sehnsucht zur Sprache der Erfahrung. „Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden", sagt der Mann aus Nazareth, den seine Jünger den Sohn des Allerhöchsten nannten. Nicht irgendwann ist der Trost im Leide da, nein, hier und jetzt. Vergebung, Freiheit, der weite Raum zum Leben: nicht irgendwann, sondern genau in ihm, in Jesus. Die Mauern abgetragen, die Gräben zugeschüttet: so ohne Furcht in dieser Welt. Sogar den Tod hat er durchschritten in seiner unauflösbaren Zugehörigkeit zu Gott. Den neuen Himmel und die neue Erde hat er hineingeliebt in diese Welt, so aß, wenn wir uns da anschließen könnten, mit ganzer Seele und mit ganzem Körper, so wäre das alles da. „Ist jemand in Christus, wird Paulus sagen, so ist er eine neue Kreatur. Die Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden." Aus der Erfahrung der völligen Veränderung des Lebens schreibt dieser Mann.

Liebe Gemeinde, bei den meisten von uns wird das alles wohl doch stärker die Sprache der Sehnsucht bleiben. Die Erfahrung kommt dann und wann hinzu. Aber ich will und kann ohne die Sprache des Glaubens, ohne die Perspektive der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nicht leben. Du wirst an hundert Gräbern stehen, aber in den zerbrochenen Gesichtern der Menschen spiegelt sich hier und da die Hoffnung der Auferstehung. Du wirst in tausend fremde Gesichter schauen, aber dich wird die Liebe zu den Menschen nie ganz verlassen. An Ungerechtigkeit, an Hass werde ich mich nie gewöhnen können. Die Nähe der Verheißung wird dich aus der Ohnmacht und aus der Verzweiflung holen. Auf dieser alten, schönen, müden Erde geht der Horizont des auf uns zukommenden Gottes auf. Das ist die Botschaft des morgigen Totensonntag und des Advent, in den wir schreiten.

Amen

Die Predigt basiert in großen Teilen auf einer Predigt von Hans-Werner Dannowski

  Email: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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