Predigt am 23.11.2003, Ewigkeitssonntag, Johannes 16,33

Gnade und Friede sei mit euch von Gott, unserem Vater und von Jesus Christus, seinem Sohn unseren Herrn

Liebe Gemeinde,

die Grundquelle aller Angst ist die Angst vor dem Tod. Da wir alle den Tod in unserem Leben vor Augen haben, kennen wir diese Angst. Und gerade, wenn Menschen in unserer Nähe sterben, Menschen, die wir geliebt haben und meist immer noch lieben, kriecht die Angst in uns hoch. Nimmt von uns Besitz.

An so einem Tag wie heute wird das besonders deutlich. Totensonntag – Gedenktag der Verschlafenen – Tag der Erinnerungen, der Trauer, aber auch der Angst. Denn plötzlich kommt der Tod und damit die Angst vor ihm, uns sehr nahe. Manch einer stellt sich dieser Angst. Aber viele verdrängen sie lieber und wollen mit ihr nichts zu tun haben. Die Menschen, die sich an diesem Tag, oder auch an anderen Tagen im Jahr, dem Gedenken der Verstorbenen widmen, diese Menschen werden weniger. Das hat auch mit der Angst zu tun. Oder besser gesagt, damit, diese Angst erst gar nicht zu zulassen. Zu verhindern, dass sie uns in Besitz nimmt. Doch wer diese Angst leugnet, der verleugnet auch das Leben. Der läuft Gefahr, die Achtung vor dem eigenem und dem Leben anderer zu verlieren.

Doch es gilt auch zu verhindern, dass diese Angst von uns Besitz nimmt. Das sie unser Denken und Handeln kontrolliert. Wir würden uns selbst verlieren. Wir müssen dieser Angst ins Auge schauen. Wir müssen erkennen, was diese Angst ausmacht, wo sie sich zeigt. Nur dann können wir mit ihr leben. Wir brauchen Hilfe dazu. Menschliche und auch göttliche Hilfe. Diese finden wir bei unserem Gott, in seinem Sohn Jesus Christus. Er hat Worte des Trostes und Worte der Zuversicht für uns. Eines davon sage ich oft an den Gräbern oder auch bei Andachten. Es steht im Johannesevangelium, Kapitel 16, Vers 33:

Jesus Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost ich habe die Welt überwunden.

 Liebe Gemeinde!

Es ist so, die Welt macht uns Angst. Das was in ihr geschieht hat oft unmittelbare Folgen für unser Leben.

Die Welt macht uns Angst. Zuviel geschieht in ihr, was wir nicht verstehen, oder dem wir hilflos gegenüber stehen. Gerade in der letzten Woche, die Nachrichten von den Terroranschlägen in Istanbul. Nicht zu begreifen, warum Menschen so was tun. Warum unzählige in den Tod gerissen werden? Die Angst, dass fanatische Anhänger auch solch grausame Anschläge bei uns verüben könnten. Es ist gleich aus welcher Motivation heraus sie das tun. Ob es religiöse oder politisch motivierte Täter sind. Der Wahnsinn und die Unberechenbarkeit dieser Attentate machen uns Angst. Bilder des 11. September 2001 und andere Bilder kehrten in unser Gedächtnis zurück. Längst verdrängt, doch sie sind noch da.

Die Nachrichten, die wir alltäglich verfolgen machen uns Angst. Die Nachrichten von Kriegen, Katastrophen. Dinge, denen wir nicht ausweichen können. Die uns fast schutzlos treffen. Denen wir ausgeliefert sind. Das macht Angst. Den älteren unter ihnen kommen bei solchen Nachrichten oft genug die eigenen Kriegserlebnisse wieder nahe. Und damit auch die gespürte Angst, die längst überwunden schien. Mit Grausen nehmen wir diese Nachrichten zur Kenntnis, und bitten im Stillen, dass sich solche schlimmen Dinge nicht bei uns ereignen.

Jesus hatte auch solche Ereignisse im Gedächtnis als er dieses Trostwort zu seinen Jüngern sagte. Jesus war politischer und religiöser Realist. Er wusste um die politische und religiöse Lage seiner Zeit gut Bescheid. Die verhasste Unterdrückung durch die Römer. Der Widerstand im Untergrund dagegen. Die kleinen Anschläge und Überfälle, die immer wieder durch Partisanengruppen ausgeführt wurden. Diese waren an der Tagesordnung. Und nicht selten zogen solche Widerstandskämpfer ihre Motivation aus ihrem Glauben. Den Glauben an den einen Gott, der ihnen die Freiheit versprochen hat, von politischer und militärischer Unterdrückung. Und dafür waren viele bereit ihr Leben zu opfern. In gewisser Weise sind diese sogenannten Freiheitskämpfer mit den Attentätern im Irak und der Türkei vergleichbar.  

Schnell gerieten Menschen in die Mühlen dieses Zwangsstaates, wenn sie sich nicht mit der herrschenden Schicht arrangierten. Hinrichtungen politischer Aktivisten waren an der Tagesordnung. Das gleiche konnte auch den Jüngern Jesu passieren, weil sie eben nicht der staatlichen Meinung folgten. Diese Bedrängnis, diese Bedrohung war durchaus realistisch.

Realistisch war auch der nahe Tod Jesu. Jesus soll dieses Wort am Abend vor seinem Tod gesagt haben. Es war ihm bewusst, dass er am nächsten Tag sterben. Durch die damals übliche Hinrichtungsmethode. Das Kreuz, ein langsamer und qualvoller Tod, der meist nach einigen Tagen durch Ersticken eintrat.

Seine Jünger hatten davor Angst. Sie hatten Angst davor, dass sie alleine klar kommen mussten. Das ihr Lehrer und Meister nicht mehr bei ihnen war. Das er ihnen keine Orientierung mehr geben würde. Einfach die Frage: Wo geht es lang? Wie geht es weiter in meinem Leben? Darauf wussten sie keine Antwort.

Jesus hat das gespürt. Er wollte ihnen seinen Trost zusagen. In der Welt habt ihr Angst. Eigentlich heißt es: Im Kosmos, alles was euch umgibt, all das macht euch Angst. Bedrängt euch. Treibt euch in die Enge. Macht euch handlungsunfähig. Die Zukunft sieht nur schwarz für euch aus. Wo ist der Silberstreif am Horizont?

Es meist ähnliche Gedanken, die uns in der Trauer um geliebte Menschen zu schaffen machen. Wie geht es weiter in meinem Leben? Der Tod des Lebenspartners, eines Elternteils, oder gar des Kindes. Der Tod des besten Freundes. Manchmal sehen wir vor lauter Trauer nicht mehr die Welt, die uns umgibt. Als ob die Tränen unseren Blick trüben. Als ob die Trauer, das unsichtbare Band zwischen uns und der restlichen Welt durchschneidet. Das bedrängt uns, macht uns Angst.

Die Jünger sahen den Tod Jesu kommen. Sie wussten auch um dessen Unausweichlichkeit. Doch es blieb ihnen zu wenig Zeit um Abschied zu nehmen. Zu wenig Zeit , um sich auf das kommende einzustellen. Und die Frage ist, ob das geholfen hätte. Menschen, die lange Kranke bis zu ihrem Tod begleitet haben, spüren oft auch die große Trauer und die gro0e Leere, die der Tod des betreuten Menschen mit sich bringt. Sei es, weil der Lebensinhalt plötzlich nicht da ist. Sei es, weil der Tod das Band der Liebe zwischen den Menschen zu zerschneiden droht.

Die Jünger wollten den drohenden Tod Jesu nicht akzeptieren. Sie wollten ihn davon abhalten seinen vorherbestimmten Weg zu Ende zu gehen. Sie wollten ihn ganz einfach noch länger bei sich haben. Verständliche Wünsche. Den meisten geht es von uns so. Wir wollen die Menschen, von denen wir Abschied nehmen müssen meist noch länger bei uns behalten. Wir wären sogar bereit, vieles dafür zu geben. Sogar die eigene Gesundheit. Wir trösten uns oft mit objektivem Hinweis auf Alter und Krankheit, versuchen so dem Tod einen Sinn zu geben. Doch wenn das nicht greift, wenn Menschen plötzlich durch Unfälle oder jung sterben, bleibt uns die Ausflucht in diese scheinbare Objektivität nicht. So oder so. Die Trauer ist da. Sie bedrängt uns. Sie droht unser Leben aus der Spur zu werfen.

Jesus war diese Gefühlswelt seine Jünger bewusst. Er spürte all die Zweifel und die Angst die in ihren Worten und ihren Gesten und Taten lagen. Seid getrost, ich habe die Welt überwunden, sagt er zu ihnen. Weil mir diese Welt nicht mehr anhaben kann, kann sie euch auch nichts mehr anhaben. Seid getrost.. eigentlich sagt Jesus: Habt Mut, seid guten Mutes. Das mag uns daran erinnern, wenn Menschen zu uns sagen, Kopf hoch, das Leben geht weiter. Doch Jesus will seine Jünger nicht mit diesem billigen Trost abspeisen. Er sagt das als der, der selber die Todesangst kennt, der seinen Vater bittet: Lass diesen Kelche an mir vorübergehen. Der all seine Angst am Kreuz hinausschreit. Der weiß, dass er die Einsamkeit des Todes durchgehen wird.

Er sagt diese Worte aber auch als der, der auf seinen und unseren Vater vertraut. Der weiß, dass da jemand mit ihm durch die dunkelsten Stunden seines Lebens und des Todes gehen wird. „Und ob ich wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“. Jesus weiß, dass er den Tod durchleiden muss. Er weiß aber auch, dass der Tod keine Macht mehr über ihn hat. Dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

Das letzte Wort hat Gott, der das Leben bejaht. Das ist seine und unsere Bestimmung: Das Leben bei Gott, in das wir durch den Tod hindurchgehen. Das letzte Wort hat Gott, der den Tod besiegt. Der neues Leben schenkt.

Die Jünger Jesu blieben traurig. Und doch, mit seinen Worten hat Jesus die ersten Keime neuer Freude und neuen Mutes gelegt. Wie der Tod muss auch die Trauer bei den Lebenden durchlitten werden. Die Jünger wurden wieder zuversichtlich. Es dauerte seine Zeit. Es gab viele Tränen. Es gab Tage, da wollten sie die Welt nicht sehen. DA machte ihnen diese Welt Angst. Auch als der Auferstandene ihnen begegnet, war diese Trauer nicht besiegt. Denn sie waren wieder alleine. Erst als sie die Gegenwart Gottes spürten, als der Geist über sie kam, war die Trauer wie weggeblasen.

Ich weiß, dass wir uns dass auch wünschen, ein Stück von diesem mutmachenden Geist, der unsere Trauer besiegt. Doch dieser Geist braucht unsere Öffnung, nur ein klein wenig, dass reicht aus, damit er uns neues Leben einhauchen kann.

Jesu Wort ist da wie ein Saatkorn, das in uns wirken kann. Ein Wort, das uns wieder öffnen will, dass die Trauer besiegen will. Ein Wort, das uns auf den Boden der Tatsachen zurückholen will. Auf den Boden Tatsachen dieser Welt. Auch wenn sie oftmals unerträglich scheint. Aber auf den Boden der Gegenwart Gottes. Mit ihm werden alles überwinden, was uns in diesem Leben bedrängt. Mit ihm werden wir den Tod überwinden. Und in der Gegenwart Gottes leben, in der alle Trauer und alle Bedrängnis ein Ende hat.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist all unsere Vernunft, mache uns Mut und bewahre uns zum ewigen Leben in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen


Email: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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