Predigt über Jesaja 51, 9 - 16 am 4. Sonntag nach Epiphanias, 28. Januar 2001

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und von Jesus Christus, seinem Sohn, unserem Herren!

Liebe Gemeinde!

Eine kurze Geschichte vorweg. Den meisten von uns ist das schon passiert. man wird morgens wach, reckt und streckt sich, gähnt noch mal und schaut zur Uhr: 8.30 Uhr. Verschlafen. Ich komm zu spät zur Arbeit. Hat dieser blöde Wecker nicht geklingelt? man schaut nach und sieht das er gar nicht entriegelt war. Oder das der Alarm abgestellt war. Im Schlaf macht man das schon mal.

Jedenfalls, der Schreck fährt einem in die Glieder, man springt aus dem Bett, wenn man es noch kann.

Es gibt aber auch Schlafmützen, die sind von keinem Wecker wach zu kriegen. Die muss man rütteln und schütteln und gut zu reden, mehr laut als leise, ehe sie langsam die verschlafenen Augen aufschlagen.

Keine ernste Geschichte, kann passieren sagen wir, so schnell kommt das nicht mehr vor.

Unser Predigttext hat mit diesen kleinen Geschichten einiges zu tun. Hören wir dem Propheten Jesaja zu! Denn auch damals im 5. Jahrhundert vor Christus in Babylon hatte anscheinend jemand einen ziemlich gesegneten Schlaf.

9 Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN! Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat?

10 Warst du es nicht, der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Tiefe, der den Grund des Meeres zum Wege machte, dass die Erlösten hindurchgingen?

11 So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.

Gott schläft. Und die Menschen rufen: wach doch endlich auf, du verschlafener Gott! Wach auf und zeig dich, der du so stark bist!!

Gotteslästerlich, sagen sie? Darf man so mit Gott reden? Wie mit einer Schlafmütze? Erstaunlich: in der Bibel lernen wir: ja, das darf sein. Der Gott der Bibel, er kann das ab, der ist nicht zimperlich - wie könnte er es sonst mit uns Menschen aushalten?

Allerdings: die ihn so anrufen, anklagen, herausfordern, die rufen nicht nach ihm aus Neugier, aus Sensationsbedürfnis, nicht um ihren Informationshunger zu stillen - so, wie es in den Talkshows des Fernsehens üblich ist.

Denen, die so mit Gott reden, denen steht das Wasser bis zum Hals. Die rufen so aus tiefer, den Grund ihres Leben bedrohender Not.

Wir wissen, dass ihre Not die Gefangenschaft ihres jüdischen Volkes in einem fremden, feindlichen Land ist. Fern sind sie dem Tempel. Dem Ort, an dem sie sich Gott so sicher waren. Jetzt ist alles unsicher und gefährdet: ihr Leben, ihr Überleben als Volk, ihr Glaube - und auch Gott.

Wo ist er? Schläft er? fragen sie sich. Ist er, der doch früher ein fester Posten war im Leben, ist er noch da? Aus der Not des Leibes und der Seele heraus - so lernen wir- dürfen wir mit Gott reden. Die Stimme der Not kann zu Gott sprechen, wie es ihr auf der Zunge oder auf der Seele brennt.

Die Jünger, mit Jesus auf dem Schiff im Sturm - wir haben die Lesung gehört - auch sie schreien um Hilfe, schreien zu Jesus. Auch mit ihm können Menschen so reden. Wie der Vater, so der Sohn. Die Stimme der Not, sie darf in unserem Glauben Worte finden, Worte, die die Not diktiert, die nicht auf leisen Sohlen und hochgestylt daherkommen müssen. Wer möchte manchmal nicht seine Not herausschreien, seine Klage über persönliche und gesellschaftliche Dinge:

Vielleicht, dass wir heute solche Worte finden:

Gott, zeig, dass es dich gibt! Im Gewirr der vielen Stimmen aus Radio, Fernsehen, Internet, Zeitung - rede so, dass man dich hört! Unseren Vorfahren bist du oft Trost und Kraft gewesen, wo bist du heute, wenn wir den Mut verlieren?

Da ist so vieles, was unser Leben bedroht: Krankheit, Unfall, das Alt- und Schwachwerden. In unseren Familien knirscht es; Ehen, die auseinandergehen; Eltern, die bei der Erziehung die Orientierung verloren haben; Kinder, die entgleiten; Jugendliche, die auf eine unsichere Zukunft zugehen; Alte, die die Isolation fürchten.

Unsere Welt: voller neuer Gefahren: BSE, Aids, Gentechnik - hilflos, ratlos stehen wir dem allen gegenüber. Unsere Welt voller uralter aber immer noch nicht ausgerotteter Gefahren: Krieg, Terrorismus, Kriminalität, Flüchtlingselend, Hunger.
Unsere Kirche, der Ort, wo von dir erzählt wird, wo unser Glaube Heimat fand: diese Kirche leidet an Schwindsucht, ist von Bürokratie bedroht, diese Kirche wird von den vielen verwirrenden Stimmen in unserem Land übertönt und schlechtgeredet. Gott, zeig, dass es dich gibt! Im Gewirr der vielen Stimmen - rede so, dass man dich hört!

Mit Gott können wir reden, wir können ihm unser Leid klagen, wir können ihn zur Rede stellen, wir können ihn voller Wut anschreien, unser Gott kann das ab, weil er uns liebt.

Sein eigenes Volk schrie ihn so an, damals in Babylon, damals in den Konzentrationslagern. Gestern war so ein besonderer Tag. Ein Tag der Erinnerung, der Befreiung Auschwitz. 56 Jahre ist es her. Die Erinnerung droht zu verblassen. Es heißt wachsam zu sein. Aus dieser Erinnerung kommt die Kraft allen neuen antijüdischen Parolen die Stirn zu bieten. Ja Gott, wach auf, wenn solches Unheil wieder geschieht!

Und Gott bleibt nicht stumm. Er antwortet:

12 Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen,

13 und hast des HERRN vergessen, der dich gemacht hat, der den Himmel ausgebreitet und die Erde gegründet hat, und hast dich ständig gefürchtet den ganzen Tag vor dem Grimm des Bedrängers, als er sich vornahm, dich zu verderben? Wo ist nun der Grimm des Bedrängers?

14 Der Gefangene wird eilends losgegeben, dass er nicht sterbe und begraben werde und dass er keinen Mangel an Brot habe.

15 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das Meer erregt, dass seine Wellen wüten - sein Name heißt HERR Zebaoth -;

16 ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen, auf dass ich den Himmel von neuem ausbreite und die Erde gründe und zu Zion spreche: Du bist mein Volk.

Ich, ich bin euer Tröster: Auf erregte Fragen, Rufe, Anklagen - antwortet Gott mit zärtlichen, tröstenden Worten und einem wohltuenden Bild: Ich, Gott, habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen. Unter dem Schatten meiner Hände.
Ich breite den Himmel neu vor dir aus - du gehörst zu mir. Nichts kann dich von meiner Liebe trennen.

Gott antwortet nicht mit seiner Macht, er antwortet in Liebe.

Kommt zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid, sagt Jesus. Bei Trauerbesuchen mache ich oft diese Erfahrung. Die Frage, was ist mit den Verstorbenen treibt die Angehörigen umher. Warum? Sie finden keine Ruhe. Es kommen Zweifel, die Klagen, Angst. Der Glauben steht vor seiner Bewährungsprobe. Ich bete dann mit den Menschen, lege das alles ins Gebet. Spreche die Worte vom guten Hirten. Und wir machen die Erfahrung. „Ich habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen". Gott schützt das Leben schützt und er öffnet es wieder. Das ist die Erfahrung, die wir mit Gott machen. Bei Jesaja steht es so: "Ich, Gott, breite den Himmel von neuem vor dir aus".
Das heißt doch: es gibt Hoffnung für unser Leben!

Wo wir auf Kosten der Schöpfung Gottes leben!

Wo Unfriede die herzen der Menschen regiert!

Wo die Spötter und Verächter von Religion und Glaube uns zurückdrängen wollen

Wo unsere Kirche wie tot erscheint!

Wo Familien sich festgefahren haben!

Wo Menschen alleine sind!

Wo Menschen noch zu Gott rufen, ihn hineinwecken in ihr Leben, da öffnet sich die Zukunft, da breitet Gott Himmel und Erde vor ihnen aus. Da hören sie ihn sagen: Du bist mein Volk!

Darauf vertraute sein Volk Israel. In Babylon, und selbst in den Tötungslagern wie Auschwitz. Du, Israel bist mein Volk! Ich werde dich nicht verlassen. Es gibt keinen größeren Beweis für die Treue Gottes als die Existenz des Volkes Israels!

Gott bleibt nicht stumm. Er wird seine Worte in unseren Mund legen. Wir sollen von Gott reden. Nicht nur im Gottesdienst, auch in unseren Familien, in der Schule, in der Firma, in der Gesellschaft, überall dort, wo wir sind.

Und wir trauen uns das so wenig.

Doch Gott traut uns das zu! Uns, den Menschen mit ihren Fragen und Rufen und Zweifeln - uns traut er das zu, genau, wie er es denen damals in Babylon und Auschwitz zutraute - und sie sind nicht stumm geblieben. Wo wir es tun, wo wir von unserem Glauben wieder reden, da werden wir die Hand Gottes über uns spüren und keine Angst oder Scham mehr haben, wo wir von Gott wissen, da wird sich Zukunft wieder öffnen - für uns und für andere.

Das ist viel, was wir für diese Welt und ihre Menschen tun können: Unsere Erfahrungen, die wir mit Gott machen, die Geborgenheit, die wir unter seiner Hand fühlen, die Hoffnung, die wir haben, weil uns der Himmel offensteht. All das den Menschen um uns herum weitererzählen. Manche werden uns für verrückt halten. Doch sie werden die Kraft und den Trost, die Liebe und die Hoffnung spüren, die uns von Gott geschenkt sind. Und viele werden sich angesprochen fühlen von unserem Gott, und mit Freude und Stolz sagen: "Ja, ich gehöre dazu, wenn er sagt: Du bist mein Volk". Amen
Und der Friede Gottes, der weiter reicht als all unserer menschliche Vernunft, menschliche Worte und menschliche Kraft, dieser Friede Gottes bewahre unsere Herzen Sinne, damit wir nie ohne Gottes Wort sind.

Basierend auf einer Predigtidee von von Pastor Anneus Buisman,  Aurich-Plaggenburg, Ostfriesland

Email: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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