Predigt am 6.7.2003, 3. S. n.T.; Lk. 15, 1-3.11a-32
Kanzelgruß
15  1 Eines Tages waren wieder einmal alle Zolleinnehmer und all die anderen, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, bei Jesus versammelt und wollten ihn hören. 2 Die Pharisäer und die Gesetzeslehrer murrten und sagten: »Er läßt das Gesindel zu sich! Er ißt sogar mit ihnen!« 3 Da erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis :
»Ein Mann hatte zwei Söhne. 12 Der jüngere sagte: 'Vater, gib mir den Teil der Erbschaft, der mir zusteht!' Da teilte der Vater seinen Besitz unter die beiden auf.
13 Nach ein paar Tagen machte der jüngere Sohn seinen ganzen Anteil zu Geld und zog weit weg in die Fremde. Dort lebte er in Saus und Braus und verjubelte alles.
14 Als er nichts mehr hatte, brach in jenem Land eine große Hungersnot aus; da ging es ihm schlecht. 15 Er hängte sich an einen Bürger des Landes, der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. 16 Er war so hungrig, daß er auch mit dem Schweinefutter zufrieden gewesen wäre; aber er bekam nichts davon. 17 Endlich ging er in sich und sagte: 'Mein Vater hat so viele Arbeiter, die bekommen alle mehr, als sie essen können, und ich komme hier um vor Hunger. 18 Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden; 19 ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Nimm mich als einen deiner Arbeiter in Dienst!' 20 So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater.
Er war noch ein gutes Stück vom Haus entfernt, da sah ihn schon sein Vater kommen, und das Mitleid ergriff ihn. Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und überhäufte ihn mit Küssen.
21 'Vater', sagte der Sohn, 'ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein!' 22 Aber der Vater rief seinen Dienern zu: 'Schnell, holt das beste Kleid für ihn, steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm Schuhe! 23 Holt das Mastkalb und schlachtet es! Wir wollen ein Fest feiern und uns freuen! 24 Denn mein Sohn hier war tot, jetzt lebt er wieder. Er war verloren, jetzt ist er wiedergefunden.' Und sie begannen zu feiern. 25 Der ältere Sohn war noch auf dem Feld. Als er zurückkam und sich dem Haus näherte, hörte er das Singen und Tanzen. 26 Er rief einen der Diener herbei und fragte ihn, was denn da los sei. 27 Der sagte: 'Dein Bruder ist zurückgekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederhat.' 28 Der ältere Sohn wurde zornig und wollte nicht ins Haus gehen. Da kam der Vater heraus und redete ihm gut zu. 29 Aber der Sohn sagte zu ihm: 'Du weißt doch: All die Jahre habe ich wie ein Sklave für dich geschuftet, nie war ich dir ungehorsam. Was habe ich dafür bekommen? Mir hast du nie auch nur einen Ziegenbock gegeben, damit ich mit meinen Freunden feiern konnte. 30 Aber der da, dein Sohn, hat dein Geld mit Huren durchgebracht; und jetzt kommt er nach Hause, da schlachtest du gleich das Mastkalb für ihn.' 31 'Mein Sohn', sagte der Vater, 'du bist immer bei mir, und dir gehört alles, was ich habe. 32 Wir konnten doch gar nicht anders als feiern und uns freuen! Denn dein Bruder war tot, jetzt ist er wieder am Leben. Er war verloren, und jetzt ist er wiedergefunden.'«

Wir haben den für heute vorgeschlagenen Predigttext gerade in der Lesung gehört. Sie alle kennen diese Geschichte. Der verlorene Sohn. Was ist über diese Geschichte nicht schon alles geschrieben und gepredigt worden. Eine Geschichte, die uns ergreift. Die unser Innerstes aufwühlt. Die uns parteiisch werden lässt.
Wir identifizieren uns mit dem jüngeren oder mit dem älteren Sohn. Wir fühlen nach, was der junge Mann durchgemacht hat. In Saus und Braus gelebt. Von Party zu Party gejettet und am Ende in der Gosse und am Schweinetrog gelandet. Der Entschluss zur Umkehr, die glückliche Aufnahme durch den Vater.
Wir sind auf der Seite des älteren Sohnes. Der immer treu zu Hause war. Der Hof und Haus seines Vaters mitbestellt hat. Der für den Wohlstand der ganzen Familie Sorge trug. Wir spüren seinen Zorn, als der junge Bruder kommt, dieser Taugenichts, der nur Haus und Hof auch zu gern verjubelt hätte. Wir spüren seine Enttäuschung über den Vater. War das der Lohn für seine Treue. Das er ihn fallen lässt, als der junge Charmeur auftaucht. Was hatte der Vater für ihn getan. Keine Feier, kein Mastkalb. Kein Entgegenrennen und in den Arm nehmen.
Ich habe einige Predigten durchgelesen. Sie beschäftigen sich alle mit diesen beiden Personen. Mit dem jüngeren, der voller Reue umkehrt. So sollen wir auch sein. Vom Ende her betrachtet ist das doch eine tolle Geschichte, sagt ein Prediger. Ehrlich gesagt, so richtig als Versager, der sich so richtig in den Dreck rein geritten hat, so fühle ich mich nicht. Und die meisten von ihnen denke ich auch nicht. Sicher hat jeder mal was verbockt, aber verloren wie der verlorene Sohn, wer war das von uns schon.
Dann der ältere Sohn. Die Verkörperung der Treue. Ein Bild für die Treue zu Gott. Und ein Bild dafür, dass viele für diese Treue einen Lohn erwarten. Das Paradies. Oder wie immer man es auch nennen mag. Damit könnte ich mich und sicherlich auch viele von ihnen sehr gut identifizieren. Schließlich glauben wir an Gott und haben auch eine ganze Menge für seine Kirche und die Menschen getan. Eine kleine Belohnung wäre doch mal fällig. Aber solche Gedanken gehören sich nicht und sind an sich recht sündhaft sagen die Theologen.
Mit dem Vater, nein, da identifiziert sich keiner. Der Vater ist schließlich die Person hinter der Gott steht. Sagen die Theologen. Sagt Jesus. Doch eigentlich sagt Jesus nichts über den Vater. Er kann Gott sein. ER muss es aber nicht. Oft genug habe ich schon die Geschichte aus der Sicht des verlorenen Sohnes gesehen. Manchmal auch aus der Sicht des vermeintlich betrogenen älteren Sohnes. Aber aus der Sicht des Vaters……..
Ich möchte sie mitnehmen auf eine Gedankenreise. Auf eine Reise mit verschiedenen Etappen. Eine Reise zu den Gedanken des Vaters. Sie beginnt als der jüngere Sohn gerade das Haus verlassen hatte. Der Vater steht noch lange im Torbogen des Hauses und sieht den jüngeren Sohn langsam am Horizont auf dem Weg in die große Welt entschwinden……
„Ich habe meine Zweifel“, dachte der Vater. „Hätte ich ihn gehen lassen sollen? Er ist doch noch so jung. Und unerfahren.“ Der Vater dachte an den letzten Sonntag zurück. DA hatte ihn der jüngere Sohn gesagt: „Vater, zahl mir mein Erbteil aus. Ich werde von zu Hause weggehen und in der Fremde mein Glück versuchen.“ Das Gelächter seines Älteren Sohnes war ihm noch im Ohr. „Dein Glück versuchen. Lerne doch erst mal richtig zu arbeiten. Und kannst du überhaupt mit Geld umgehen? Es dauert doch nicht lange, da hast du alles verjubelt.“ Der Vater erinnerte sich noch wie er seinem älteren Sohn ins Wort gefallen ist. Er wollte keinen Streit mehr. Davon hatte er schon genug gehabt. „Er ist mein Sohn. Er ist alt genug. Er kann gehen, wenn er will.“ Und zu seinem jüngeren Sohn gewandt sagte er: „Ich hoffe, du hast dir das gut überlegt.“ „Ja, Vater, mein Entschluss steht fest. Am Donnerstag mache ich mich auf dem Weg. Bis dahin wird das finanzielle ja zu klären sein.“
Es war so geschehen, wie sein jüngerer Sohn wollte. Und nun ging er fort….. In der Ferne verlor der Vater seinen Sohn allmählich aus dem Blick. Schweren Herzens ging er zum Haus zurück. Er machte sich Sorgen. Er ist vor dem Gesetz mündig. Aber ist er das auch vor dem Leben? Bilder fielen dem Vater ein. Bilder von schönen Zeiten, aber auch die vielen Zeiten des Streites.
Irgendwie musste es ja so kommen. Sein junger Sohn war schon lange nicht mehr zufrieden. Er war nie einfaches Kind gewesen. Nicht so pflegeleicht wie der ältere Sohn. Immer wieder gab es Streit. Wie oft haben sie sich angeschrien. Bis zur Erschöpfung. Und hinterher nicht mehr gewusst, warum sie sich eigentlich gestritten hatten. Die Wände des Hauses wurden ihm schon vor Jahren zu eng. Wie oft wäre er am liebsten weggerannt. Doch immer blieb er da. Der letzte Streit zog vor den Augen des Vaters vorbei: „Wenn ich an die vielen Auseinandersetzungen denke. Dieser dauernde Streit. Ungerecht wäre ich, warf er mir vor. Dabei hielt ich stets alle gleich. Manchmal hätte ich mir gewünscht, er wäre wirklich gegangen. Damit ich und die Familie endlich Ruhe haben. Und doch, ich wusste es immer. Wenn der Tag seines Gehens kommt, würde es mir das Herz zerreißen.“
Der Tag war gekommen und das Herz des Vaters schmerzte vor trauernder Liebe und Ratlosigkeit. Aber er wusste. Er musste seinen Sohn freigeben. Hätte er ihn gehalten, wären sie alle unglücklich geworden. So hat wenigstens der Junge sein Glück gefunden. Hoffentlich……
Die Tage vergingen. Aus ihnen wurden Wochen und Monate und schließlich ein Jahr. Manchmal kam eine Nachricht von seinem Sohn aus irgendeiner Stadt. Immer wieder schrieb er: Er hat viele neue Freunde gefunden. Ihm geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Doch Sorgen machte sich der Vater reichlich. Die Traurigkeit in seinem Herzen hatte sich längst vernarbt. Sonst wäre er an ihr zugrunde gegangen. Er musste schließlich für den Rest seiner Familie sorgen. Und für seine Bediensteten. Er konnte es sich nicht leisten, den Kopf hängen zu lassen.
Manchmal hatte er schon daran gedacht, seinem Sohn mal hinterher zu fahren. Er wollte sich selber davon überzeugen, ob die Briefe der Wahrheit entsprachen. Doch dann dachte er: „Nein, nur wenn er mich ruft. Dann reise ich zu ihm. Sonst nicht. Er würde denken, ich wollte mich in sein Leben einmischen.“ Schließlich kamen die Briefe seltener und blieben eines Tages ganz aus. Des öfteren ging der Vater abends zum Torbogen des Hofes. Dort stand er eine Weile und schaute in die Ferne. In der Hoffnung irgendwo die Silhouette seines Sohnes zu erblicken. Doch dann ging er wieder zurück ins Haus. Seine Sorgen wurden immer größer. Er überlegte schon, ob er Nachforschungen anstellen sollte. Wo sich sein Sohn aufhielt. Und… ob er überhaupt noch lebte. Er beauftragte Detektive. Doch ohne Erfolg. „Entweder ist er tot, oder er hat sich ganz aus der Gesellschaft verabschiedet. Jedenfalls weiß keiner wo er geblieben ist. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“
Langsam gab der Vater die Hoffnung auf, seinen verlorenen Sohn wieder zu sehen. Er war froh, dass der ältere zu Hause geblieben war. Tüchtig war er. Haus und Hof gediehen unter seinen Händen. Er liebte ihn sehr. Manchmal dachte sich der Vater: „Ich müsste ihm zeigen, wie sehr ich ihn liebe. Er hat es mehr als verdient.“ Doch irgendwie hatte sich die Traurigkeit so tief in seinem Herzen festgesetzt, dass er seine Liebe gar nicht richtig zeigen konnte.
Eines Tages kam ein Diener zu ihm ins Haus: „Herr, da draußen kommt ein zerlumpter Mann auf unseren Hof. Sicher einer von diesen aufdringlichen Bettlern, die nur was abstauben wollen. Soll ich ihn wegschicken?“ „Nein, lass nur, ich kümmere mich selbst darum.“ „Ich werde etwas Geld und was zum Essen und Trinken geben,“ dachte sich der Vater. Und so ging er hinaus zum Torbogen, um den Fremden zu erwarten. Er blickte der zerlumpten Gestalt entgegen. Plötzlich fühlte der Vater, wie sein Herz zu rasen begann. „Ich kenne diesen Menschen,“ dachte der Vater. Er ging dem Fremden ein paar Schritte entgegen. Auch wenn dieser gebeugt ging, diesen Schritt kannte er, das Gesicht, so unrasiert es war, es wurde ihm warm uns Herz. „Er ist es,“ jubelte der Vater, „Es ist mein verlorener Sohn.“ Und er rannte ihm entgegen und schloß ihn in die Arme. „Vater, es ist nicht richtig, dass du mich in die Arme nimmst. Ich habe viel Mist gebaut. Ich bin froh, dass ich es bis hierhin noch lebend geschafft habe. Ich bin es nicht wert, dein Sohn zu sein.“
Seit der Rückkehr des jüngeren Sohnes waren inzwischen ein paar Monate vergangen. Der Zorn des älteren Bruder hatte sich gelegt. Im Gegenteil. Er war viel mit seinem Bruder zusammen. Gemeinsam kümmerten sie sich um Haus und Hof. Und hatten dennoch einigen Spaß miteinander.
Sein Sohn hatte ihm oft erzählt, wie es ihm ergangen war. Viel Reue war immer in seinen Worten. Nur langsam wichen die Schuldgefühle.
„Er hat sich geändert. Er ist erwachsen geworden,“ dachte der Vater oft. „Ich habe ihn nicht lehren können, was er für das Leben braucht. Das konnte nur das Leben selbst.Und er hat Glück gehabt. Im letzten Moment die Kurve gekriegt, bevor er sein Leben total zerstört hätte. Er war tot, jetzt lebt er wieder, er war verloren und jetzt ist er wiedergefunden.“
Liebe Gemeinde,
Ich habe mich versucht in die Rolle des Vaters zu versetzen. Er ist nicht wie Gott. Er ist ein Mensch. Wie seine Söhne auch. Ein Mensch mit seinen Prinzipien und Sehnsüchten. Ein Mensch mit unglücklicher Liebe und trostloser Hoffnung. Doch mit Happy End……
Vielleicht liegt darin ein tieferer Sinn dieser Geschichte. Gott ist in jeder Person der Geschichte vorhanden. Jede begleitet er. Durch die Höhen, aber auch durch die Tiefen. Die Personen in dieser Geschichte. Sie sind alle irgendwie auch ein Teil von jedem von uns. Wir sind der verlorenen Sohn, der treue Sohn, aber auch der Vater.
Vielleicht ist das ein tieferer Sinn dieser Geschichte. Mit Gott hat unsere Lebensgeschichte eine Happy End. Ein gutes Ende. Ein lebendiges Ende. Ein Ende im Leben. Im Leben der Gegenwart Gottes.
Diese Antwort mag ihnen zu simpel sein. Aber die Frohe Botschaft Jesu ist eine einfache Botschaft. Die Botschaft der Liebe Gottes zu uns Menschen. Die Botschaft, dass keine von uns verloren gehen soll, sondern dass jeder leben soll im Licht seiner Liebe.

Und der Friede Gottes.........
 
Email: JMuthmann@t-online.de
Gerne antwortete ich per Email auf Reaktionen zu meiner Predigt
http://www.ekir.de/wanheimerort, Homepage der Gemeinde Duisburg-Wanheimerort

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