Predigt über 1. Mose 28,10-19a am 14. Sonntag nach Trinitatis, 16.09.2001
Gnade
sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und von Jesus Christus, seinem
Sohn, unserem Herrn!
Liebe
Gemeinde!
Ich
verlese ihnen den für den 14. Sonntag nach Trinitatis vorgeschlagenen
Predigttext aus 1. Mose 28, 10 – 19a:
Aber
Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an
eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und
er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte
sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand
auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel
Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und
sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das
Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein
Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet
werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine
Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich
bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder
herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles
tue, was ich dir zugesagt habe. Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte,
sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist
nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob
stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt
hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und
nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.
Liebe
Gemeinde!
Was
soll ich dazu sagen?
Was
soll ich sagen, wenn sich meine Gedanken doch nicht lösen können von den
schrecklichen Ereignissen am letzten Dienstag. Immer wieder die Flugzeuge, die
sich wie Pfeile in die beiden Türme des World Trade Center bohren. Immer
wieder die grässlichen Feuerbälle. Die Menschen, die verzweifelt aus den
Fenstern winken, und in die Tiefe springen. Immer wieder die in sich
zusammenstürzenden Türme des Wohlstandes. Und dann noch der Anschlag auf das
Pentagon. Eine vierte Maschine stürzt vom Himmel, und wie man weiß, weil die
Passagiere merkten, was passieren sollte und die Flugzeugentführer bekämpften
und den Tod fanden, doch viele Menschen retteten. Was soll ich sagen, wo mir
doch wie ihnen allen die Worte fehlen? Obwohl das Ereignis soweit weg ist, fühle
ich mich wie gelähmt. Die Gedanken kehren zu den Bildern zurück. Und zu den
Menschen. Den Opfern und ihren Angehörigen zuerst. Aber auch den Tätern. Und
zu uns.
Unvorstellbares
Leid – ein heimtückischer Anschlag, wie er selbst bisher nicht den Studios
von Hollywood gezeugt wurde. Was muss in den Menschen vorgehen, die solche
Attentate planen. Welch unermesslichen Abgründe tun sich da auf.
4/5
Tage sind seitdem vergangen. Die USA hat sich längst auf die Suche nach den
Verantwortlichen gemacht. Die Attentäter sind bekannt, die Strippenzieher im
Hintergrund werden gesucht. Ein Name wird immer wieder genannt: Osama bin
Laden. Bündnisse werden geschmiedet. Es wird nicht von Vergeltung geredet.
Der Terrorismus soll ausgemerzt werden. Wie kann man die Welt vor solchen
schrecklichen Anschlägen schützen, ohne unsere Freiheit allzu weit
einzuengen?
Diese
Gedanken – und noch mehr bewegen mich – und ich steh vor ihnen und soll
das Evangelium predigen.
Eine
Geschichte aus alter Zeit ist dran. Jakob sieht die Himmelsleiter. Sieht wie
die Engel auf und ab gehen. Sieht Gott auf seinem Thron oben im Himmel. Ich
kann nicht umhin, das Bild mit dem Anblick der beiden Twin – Tower zu
vergleichen. Ich war noch nie dort in New York, kenn aber Leute, auch aus
meiner Familie, die im World-Trade-Center waren. Die berichteten von dem
imposanten Ausblick oben auf der Plattform. Ich kenn nur die Skyline von
Frankfurt und war auch schon auf dem Main-Tower. Immerhin. Aber man hat das
Gefühl, dem Himmel näher zu sein, ein paar Schritte auf Himmelsleiter
gemacht zu haben und Gott näher zu sein.
Ich
stelle mir das Gewusel der Menschen vor, die am Beginn ihres Arbeitstages die
Aufzüge nahmen oder auch die Treppen um ihrem Arbeitsplatz unterm Himmel näher
zu kommen. Wie andere hernieder kamen, um andere Abteilungen, Firmen
aufzusuchen.
Ich
stelle mir vor, welche Verheißungen an diese Symboltürme des Wohlstandes
geknüpft waren. Big Business – Das große Geld, das ist die Verheißung,
die vom World Trade Center ausging. Sicher der Gott der Türme war ein anderer
als der unsrige – für viele der Gott Mammon. Und manchmal erinnernten diese
Türme auch an den Turm zu Babel. Doch ist seine Zerstörung eine andere
Geschichte und ging sicherlich ohne Tote ab. Und sicherlich ging von den Türmen
auch viel Segen für viele Menschen aus. Denn nicht wenige gemeinnützige
Organisationen hatten ihre Büros dort. Die vielen Arbeitsplätze -auch ein
Segen.
Diese
Gedanken durchfluten mich beim Lesen der Worte. Und manchmal wünsche ich mir,
all die Ereignisse der letzten Tagen, sie sind ein böser Traum. Aus dem ich
endlich aufwache.
Doch
die Bilder bleiben. ----
Und
das Evangelium?
Ich
blicke auf Jakob. Dem Träumer. Dem Unwissenden. Der seltsam gefasst nach
seinem fantastischen Traum wirkt. Jakob wusste schon immer was zu tun war.
Sein scharfer Intellekt paart sich mit einer gewissen Raffinesse. Schon
genial, wie er seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht betrügt. Und auch
jetzt bewahrt er ihn sich. „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und
ich wusste es nicht!“ Jakob baut einen Altar für Gott. Er gibt ihm die
Ehre. Er betet ihn an.
Fürwahr,
der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Diese
Worte bergen eine tiefe Wahrheit in sich. Wo Gott wohnt, da schuldet man ihm
die Ehre. Da verhält man sich so, wie es Gott gefällt.
Eine
der Grundkonstanten unseres Glauben ist, dass wir im Gegenüber Gott suchen.
Das wir keinem das Recht absprechen, dass Gott in ihm wohnt. Dass sein Körper
ein Tempel Gottes ist, wie Paulus es ausdrückt! Das vermögen die Terroristen
nicht zu sehen, vor allem weil sie Menschen benutzt und getötet haben, die
ihnen kein Leid angetan haben. Sie benutzen die Menschen und sie benutzen
Gott für ihre satanischen Zwecke.
Ein
anderes Wort sagt: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Der Herr
ist an dieser Stätte, allein manchmal fehlt uns der Glaube. Und die Klage
wird laut in uns: Wo warst du Gott? Wo bist du Gott? Denn solche Ereignisse
lassen an der Gegenwart Gottes verzweifeln.
Es
heiß: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Warum können Menschen
nicht in Frieden miteinander und nebeneinander wohnen? Am Ende zerstören wir
noch das Haus Gottes, in dem er uns so viele Wohnungen geschenkt hat.
Die
Hoffnung bleibt, dass Gott unter den sterbenden Menschen seine Hände aufhielt
und sie errettete. Niemand wird die Menschen aus der Hand Jesu reißen! Heißt
es im Johannesevangelium. Niemand, dem Gott das Leben geschenkt hat, wird er
vergessen. Wir kommen von ihm und wir gehen wieder zu ihm zurück.
Fürwahr,
der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
In
den letzten Tagen sieht man die Menschen wieder beten. Not lehrt beten heißt
es. Und selbst viele, die Gott längst den Rücken gekehrt haben erinnern sich
wieder an ihm in ihrer Ohnmacht. Falten ihre Hände zum Gebet. Gehen in die
Kirche. Suchen Trost. Suchen nach Antworten. Um wie viel mehr geht es den
Menschen in den USA so.
Fürwahr,
der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
Der
Gott des Lebens ist mitten unter uns – doch wie viele wissen das nicht. Wie
viele benutzen ihn für ihre Zwecke? Verheißen den Attentätern das Paradies,
weil sie für eine gerechte Sache sterben. Wie kann der Tod unschuldiger
Menschen, den man billigend in Kauf nimmt, eine gerechte Sache sein? Nein, es
ist eine höllische Sache. Das Gott für uns Menschen die Hölle durchlitten
hat, hindert die Menschen nicht, andere in diese zu schicken.
Der
Gott des Lebens ist mitten unter uns – wenn wir das doch nur erkennen würden.
Er gibt uns Worte des Lebens und des Friedens. Keiner von uns hat das Recht,
Menschen islamischen Glaubens zu verurteilen, weil einige Extremisten unter
ihnen die Hölle auf Erden bringen. Islam – das heißt Frieden – und die
meisten wollen es auch. In Frieden leben
- mit allen Menschen. Es ist unsere Aufgabe, diesen
Pauschalverurteilungen zu wehren. In unserem Umfeld. Ich weiß, es ist nicht
einfach. Die Unterschiede unserer Kulturen sind oft groß. Aber wenn Menschen
der Wille zum Frieden teilen, dann sollten sie auch in Frieden leben können.
Vielleicht
ist das das Wichtigste – zu erkennen: Fürwahr,
der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
Wir laufen selber oft Gefahr, diese Wahrheit zu vergessen. Wir leben auf
geheiligter Erde. Denn Gott hat die Welt ins Leben gerufen, er ist auf ihr
gewandelt. Es darf nicht sein, dass wir unsere Freiheit immer wieder dazu
benutzen, die Schwester und den Bruder zu morden. Das wir uns am Ende gar
selbst in den Abgrund stürzen.
Es
gilt besonnen zu sein. Darum zu beten, das Gott sich zu erkennen gibt.
Das alle Menschen erkennen: Überall auf der Erde ist
die Pforte zum Himmel. Da, wo Menschen in Frieden miteinander leben, wo
sie Hass und Terror verurteilen und gemeinsam an den Frieden glauben und für
ihn leben. Gott ist seinen Verheißungen treu – er ist uns treu – darin
liegt die Chance – für uns - für die ganze Welt.
Und der Friede Christi breche sich Bahn auf unserer Erde, er wohne in unseren Herzen und lenke unseren Verstand, damit Friede hier auf Erden wird. Amen
Pfarrer Jürgen Muthmann